Das Ereignis ist schrecklich und beschäftigt uns intensiv.
Aber mindestens ebenso schrecklich sind Reaktionen von Leuten, die dieses ausnutzen, um ihre Vorurteile, Scheinerkenntnisse und Ablehnungen in die Welt hinausposaunen zu können. Dabei ist Wahrheit eine zu vernachlässigende, lästige Komponente. Ein Plakat rief nach Sozialarbeitern, die Frauen und Kinder beschützen müssen. Der Gipfel aber ist ein Leserbrief, der an die VKZ gerichtet war und inhaltlich in einem Artikel am 22.05.21 veröffentlicht wurde.
VAIHINGER KREISZEITUNG
Vaihingen 22. Mai 2021
Ein vollkommen haltloses Gerücht macht die Runde
Stadt widerspricht Spekulationen über Tod der eritreischen Familie.
Vaihingen (mib). Tragödien wie der Tod einer jungen eritreischen Mutter und ihrer beiden Kinder in der Enz in Vaihingen am Dienstag vergangener Woche hinterlassen naturgemäß Fragen. Wie kann jemand so etwas tun? Was muss da vorgefallen sein, um sich und die eigenen Kinder zu töten? Wer trägt die Schuld? Haben die Behörden versagt?
Vieles wird in diesem Fall wohl ungewiss bleiben, denn die Frau hinterließ keine Notiz, keinen Abschiedsbrief, der Aufschluss geben könnte. Gleichwohl machen sich Gerüchte breit, in denen offenbar Denkschablonen zur Anwendung kommen, die immer schnell zur Hand sind, wenn es um geflüchtete Menschen geht. Die Vaihinger Stadtverwaltung und die Vaihinger Kreiszeitung erhielten beispielsweise am Donnerstag eine E-Mail, in der die Verfasserin ihrem Ärger Luft machen will.
Für sie sei es unbegreiflich, wie das Ordnungsamt eine alleinstehende junge Frau „mit hormonell gesteuerten Männern“ in einer Wohneinheit habe unterbringen können, schreibt die Verfasserin. Sie habe gehört, Übergriffe der Mitbewohner hätten die 28-Jährige in den Suizid getrieben. Die Taten seien bekannt gewesen, doch leider habe niemand reagiert. „Auf schnellstem Wege hätte die Frau mit ihren Kindern anders untergebracht werden müssen!!! Für mich ist es ein komplettes Versagen der Ämter.“ Diese hätten sensibler vorgehen und bedenken sollen, „dass die meisten jungen Männer hormonell gesteuert sind und nicht unsere Kultur achten und ihr entsprechen“, so die Frau aus dem Vaihinger Umland.
Nur: Die 28-Jährige und ihre beiden drei und sieben Jahre alten Töchter waren gar nicht zusammen mit jungen Männern untergebracht. Wie Stadtsprecherin Martina Físcher auf Nachfrage der VKZ erläutert, lebte die Familie in der Unterkunft beim Casino in der Walter-de-Pay-Straße. „Das ist eine reine Unterkunft für Familien und alleinstehende Frauen.“ Von keinem der Bewohner seien Gewalttaten oder sexuelle Übergriffe bekannt – weder auf die 28-Jährige noch auf sonst jemanden. Auch die Polizei kann das von der Verfasserin der E-Mail angeführte Geschehen nicht bestätigen: „Diese Behauptung ist völlig haltlos und wird auch durch unsere bisherigen Ermittlungen in keiner Weise gestützt“, betont Polizeisprecher Peter Widenhorn gegenüber unserer Zeitung.
Es sei sehr ärgerlich, was für Behauptungen von einigen Menschen ohne Grundlage in den Raum gestellt würden, zeigt sich Martina Fischer entsetzt. Nicht nur, dass dadurch vollkommen unschuldige Mitbewohner wilden Verdächtigungen ausgesetzt werden. Das Ganze sei auch für die von den Anschuldigungen betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ohnehin den Tod von drei ihnen bekannten Personen zu verarbeiten hätten, eine zusätzliche Belastung, so die Stadtsprecherin und bittet, sich solcher Spekulationen zu enthalten.
© VKZ 22.05.21